Happy Meal

»Was willst du essen?«, frage ich dich.

Wir sitzen am Küchentisch, die Laune vor Hunger schon eher Richtung Boden. Meine jedenfalls, du bist happy, aber du bist immer happy, wenn wir zusammen sind. Ich bin manchmal nicht happy. Ich bin hangry, wie die Kids heutzutage sagen. Die perfekte Symbiose zwischen hungry und angry, angry weil hungry, keine Diskussion notwendig, ich brauche nur etwas zu essen aber eben genau das richtige.

Setzen Sie sich. Lassen Sie uns über Essen und Demokratie reden. Über Wahlergebnisse und Pelmeni. Über vegane Wurst und Gleichstellung. Beim Essen redet es sich leichter über Hartnäckiges, beim Verdauungsspaziergang kann abtrainiert werden, was sonst schwer im Magen liegt. Beim Anstoßen werden Getränke wie Meinungen vermengt. Wir stoßen an und stoßen auf. Guten Appetit.

»Was willst du essen?«, frage ich, obwohl deine Meinung vermutlich nicht meiner entspricht.

Du willst italienisch, ich will indisch. Du willst erst in einer Stunde, ich jetzt sofort. Per Handabstimmung stimmen wir jeweils für unsere eigenen Wünsche: du italienisch, ich indisch. Die Wahllokale haben geschlossen, die Wahlhelfer:innen sind längst zu Hause. Erneute Abstimmung, gleiche Verteilung, 50/50, also: indisch.

Wir leben in einer Demokratie. Auf absoluter Augenhöhe, Hand in Hand. Hier wird sich gemeinsam für meine Wünsche entschieden, zusammen eingekauft, was ich essen will. Kannst du noch Lachgummis mitbringen, ich kriege meine Tage und Heißhunger.

Wir essen. Du isst meine Reste und ich spüle ab. Wer kocht, muss nicht spülen. Wer saugt, muss das Bad nicht putzen. Wer arbeitet, muss leise sein. Wer schläft, darf nicht geweckt werden. Wer die Fernbedienung hat, muss einschalten, was der andere sehen will. Das sind einfache Regeln, das ist Demokratie im kleinsten Detail, das ist gemeinsames Essen und jeder kriegt ein Stück vom besten Teil ab. Ich hebe mir das Beste für den Schluss auf und bin dann doch zu satt, es noch zu essen.

Wenn es nach mir gehen würde, würde es immer Nachtisch geben, immer ein Eis im Vorrat und frisch gebackene Donuts mit Füllung. Wenn es nach mir gehen würde, würde Essen im Kühlschrank niemals schlecht und jeden Tag frisch gekocht werden. Wenn es nach mir gehen würde, würde nicht ich jeden Tag frisch kochen und wenn du kochst, würde ich auch ungern abspülen. Doch wenn es nach mir gehen würde, würde es auch immer ein bisschen um dich gehen.

Ich warte noch etwas, ich halte mich zurück, ich versuche es zumindest. Man ist sich selbst der nächste, aber Nächstenliebe steht an erster Stelle und ihr seid mir am nächsten. Für euch koche ich gern‘, für euch spüle ich danach sogar ab. Damit ihr einfach mal sitzen bleiben könnt und euch freut. Damit wir beisammen sein können und genau jetzt genau hier.

Doch wenn es nach mir gehen würde, wären wir auch mal woanders. Irgendwo anders, wo es wärmer ist, schöner und die Menschen netter als meine Nachbarn. Wenn es nach mir gehen würde, würde es immer nur dann regnen, wenn ich gerade drinnen bin und nicht immer genau dann, wenn ich Auto fahren will. Ich fahre nicht gern, und wenn, dann regnet es und das ist eindeutig eine einseitige Lose-Lose-Situation. Wenn es nach mir gehen würde, würden alle Türen in alle Richtungen aufgehen, egal ob gedrückt oder gezogen wird. Damit würden alle Peinlichkeiten dieser Welt aufgelöst werden und ich würde endlich nicht mehr rot anlaufen.

Wenn es nach mir gehen würde, würde es immer nach mir gehen. Aber nicht so, dass es Regel wäre, sondern so, dass es gerne gemacht würde und ohne Widerspruch und sowieso, denn ich habe die besten Ideen, ich habe die klügsten Entscheidungen und ich weiß genau, was wann wie und in welcher Reihenfolge geschehen muss, um möglichst produktiv zu sein, um möglichst viel in kurzer Zeit und effektiv zu schaffen.

Doch wenn es nach mir gehen würde, würde Stress dominieren, ich gegen den Schlaf verlieren und jeder Mensch auf der Welt müsste mit einem Lächeln durch die Welt marschieren, mit einem aufgesetzten, denn ich kann nicht Nein sagen, ich kann nicht böse sein und traurig erst recht nicht.

Frag‘ mich nicht, wie es mir geht. Ich weiß es nicht und wenn ich genau nachsehen würde in der hintersten Kammer meiner Gefühlsreihenhaussiedlung, dann treffe ich vielleicht auf vergessene Puppen aus zu alten Tagen. Gruselclowns und Babyborn mit einem offenen und einem geschlossenen Auge. Lieber zwei geschlossene Augen Richtung Vergangenheit und zwei frisch geputzte Brillengläser Richtung Zukunft.

Weiter voran, mit gutem Essen und besserem Wein, mit Menschen, die bleiben, mit Mit- und Selbstbestimmung, mit allen zusammen und egal wo sein. Und wenn du mich fragst, kann es gerne so bleiben. Wenn du mich fragst, dürft ihr gerne bleiben und ich hier mit euch. Wenn du mich fragst, was es zu Essen gäbe, würde es nach mir gehen, dann würde ich dir den Vortritt gewähren, wenn deine Meinung der meinen entspricht und du auch gerne mal indisch isst.

 

Sarah Lau