Ein Wochenendurlaub in Paderborn, in der Sonne im Garten liegen und tatsächlich braun werden für die anstehende Hochzeit und das entsprechende Trauzeuginnenkleid in hellrosa. Vorher Regen auf Libori, jetzt schwitzen. Das Leben ist schön, steht an der Fotowand meiner Mutter und das stimmt.
Setzen Sie sich. Setzen Sie sich auf, im Krankenhausbett. Mit Vorsicht bitte aber auch nicht zu viel Angst. »Ich habe nicht gesagt, dass es leicht wird.« Setzen Sie sich zuhause ganz vorsichtig hin, die Beine nicht im rechten Winkel, bitte. Sie benötigen noch eine Toilettensitzerhöhung, ganz sicher, das hilft Ihnen, später können Sie sich selbst nicht mehr helfen.
Jedes neue Terrain bietet neue Möglichkeiten aber in erster Linie auch erstmal viel Angst. So war es bei meinem Jobwechsel, bei meinem Arztwechsel, beim Umzug in eine neue Stadt und jetzt bei neuen Gelenken für meine Mutter. Arthrose ist tatsächlich ein Arschloch und selbst A. hat nun die Diagnose mit Anfang 30 bekommen. Ich bin 28 und gehe wöchentlich zur Physiotherapie. Nicht wegen meiner Skoliose – die Behandlung wurde wegen einer zu langen Pause unterbrochen. Weil ich arbeiten musste, konnte ich mich darum nicht kümmern. Weil ich danach auch arbeiten musste, konnte ich sie nicht wieder aufnehmen. Und mein damaliger Chef hat tatsächlich von »unnötigen« Arztbesuchen abgesehen. Nun habe ich eine neue Therapie gestartet, nicht um endlich meinen Rücken in den Griff zu bekommen, nein, mittlerweile hat sich eine Entzündung im Ellbogen so gefestigt, dass selbst Fahrrad fahren wehtut. »Da müssen wir jetzt aufpassen, dass das nicht chronisch wird«, wurde mir bei der ersten Behandlung gesagt. Und mir war es vorher peinlich wegen eines schmerzenden Armes beim Orthopäden zu sitzen, ohne vorherigen Unfall, ohne irgendein Initiativereignis. Doch wenn ich erzähle, dass ich im Büro arbeite, viel auf Laptop und Handy tippe, erhalte ich als Antwort nur ein langsames Kopfnicken mit zusammengepressten Lippen.
Der Job macht uns also kaputt und das, obwohl ich nur im Büro arbeite. Rücken, Nacken, Arme und Beine. Die Muskeln verkürzen, verhärten sich. Und wenn ich in der Woche dann dagegen ankämpfe, kommt etwas anderes zu kurz. Physio am Morgen = zu spät bei der Arbeit = länger bei der Arbeit = Rückenschmerzen und Bewegungsdrang = Joggen, Fahrradfahren oder Fitnessstudio am Abend = später im Bett = kein Sex = trotzdem wenig Schlaf = Müdigkeit am Morgen = mehr Kaffee = Herzrasen = und so weiter …
Gut also, dass ein Wochenende in Paderborn auch mal Liegen in der Sonne im Garten bedeutet. Nach der OP ist die Aktivität meiner Mutter so weit außer Gefecht gesetzt, dass sie nun der einer ganz durchschnittlichen Person gleicht. Ab und an gibt es ein frisches Bierchen, ab und an ein neues Kühlakku und für die Vögel frisches Wasser im Vogelbad. Eigentlich sind seit Hitchcocks Film »Birds« Vögel absolut tabu. Doch hier im Garten hat die ursprüngliche Angst keine Chance und schließlich überwiegt die Tierliebe. Besonders eine Amsel freut sich über den Unterschlupf, das Wasser, die Akzeptanz. Dass sie eine Amsel ist (wir raten, dass sie eine sie ist), erkennt man erst bei sehr genauem Hinsehen. So zerrupft wie ihr Federkleid ist, so lose die restlichen Daunen am Bauch hängen, so dürr und nackt der Hals ist, so kränklich der Schnabel. Trotzdem springt sie umher, schaut in die Sonne, genießt das Wetter und das Leben, das wir in ihrem Fall schon vor 2 Jahren für beendet hielten.
Nun nehmen wir diesen Vogel als Vorbild. Humpeln selbst neben ihr her und geben doch nicht auf. Auch wenn T.s Sportlerknie nach jedem Joggen schmerzt und selbst die teuren neuen Schuhe nicht helfen, Recherche hilft und Dehnen, mehr Arbeit drumherum, um die Arbeit möglich zu machen. Und auch wenn nach der Physio mein Arm mehr schmerzt als vorher und ich mich ärgere, dass wir parallel nicht noch etwas für meinen Rücken tun können, das zieh ich jetzt durch und den Rücken dann danach. Und auch wenn es morgens hakelt und schmerzt, am Mittag ist es ok. »Und dass Gelenke knacken, ist normal«, meint dein Arzt, »das ist nur Luft im Gelenk.« Na dann.
Meine Mutter hat jetzt ein Buch über Prothesen, um zu lernen, wie sie mit neuen Gelenken das Leben trotzdem in vollen Zügen genießen kann (wenn Sie verstehen, worauf ich hindeuten will). Sie zeigt auf die Ellbogenprothese und meint scherzhaft, dass ich die dann bald bekomme. Das sieht mir sehr kompliziert aus. Da will ich doch lieber versuchen mein eigenes Gelenk so lang wie möglich zu behalten. Und ich will ja auch noch stärker werden, für alles, was noch kommen mag. Ich würde gerne so lange wie es geht noch meine Nichte und meinen Neffen durch die Welt tragen und beim Fallen fangen können. Ich möchte gerne noch eine Stütze sein, wann immer sie gebraucht wird. Möchte gerne Gepäck tragen in jeden Urlaub, wandern gehen können und zu Zügen sprinten, wenn die Zeit zu schön und viel zu kurz war. Ich möchte vor allem noch gerne lange schreiben. Am Laptop, Nachrichten am Handy, Briefe und Karten. Ich möchte schreiben, was ich sagen will, was ich manchmal nicht sagen kann.
Ich find’s so schön hier, so schön hier mit euch allen und ich freue mich, dass wir alle alles geben, dass es lange noch so schön ist. Wenn auch nicht komplett unbeschwert, doch immerhin zusammen.
Sarah Lau