Würden Sie sich zu mir setzen? Ganz unbefangen und frei? Ich denke, das ist leider nicht möglich. Der Platz ist schon besetzt mit Vorurteilen und Verurteilungen, noch bevor das erste Wort gesprochen ist. Doch lassen Sie es uns wagen. Setzen Sie sich, ich bitte darum, setzen Sie sich und nehmen wir all unsere Bedenken mit ins Gespräch, vielleicht lassen sich ein paar davon nehmen.
Ich bin genau die Sorte Mensch, die immer am Handy ist, immer Input benötigt und stets erreichbar ist. Beim Frühstück gucke ich eine Folge meiner momentanen Lieblingsserie auf Netflix, parallel dazu spiele ich Canasta auf dem Handy. Dann habe ich Unikurse über Zoom, lese Texte auf dem Tablet und google nebenbei Wortbedeutungen und Synonyme. Mittagessen bei einer weiteren Folge, aufräumen mit Musik im Ohr, Spaziergang mit einem Podcast und abends im Bett brauche ich YouTube Videos zum Einschlafen. Und seit April 2020 bin ich sehr aktiv auf instagram: ich poste jeden Tag eine Story und jeden Mittwoch einen neuen Beitrag, ein Foto von mir. Mit Make-Up, das meinem Opa nicht gefällt. Mit Sport-BH und nackter Haut und letztens eines oben ohne. Klingt erstmal krass, aber so krass war es nicht. Meine angewinkelten Beine haben meinen gesamten Oberkörper bedeckt, die dunkelblaue Jeans steht deutlich mehr im Vordergrund als meine nackte Haut. Und doch kam der erste Kommentar »Mutig« und nicht viel später eine Nachricht, in der ich gefragt wurde, ob ich keine Angst vor Konsequenzen hätte, dass mir meine Fotos irgendwann einmal zum Verhängnis werden. Doch was genau soll mir da zum Verhängnis werden? Dass mich jemand anschaut? Das passiert sowieso. Dass mich jemand auf mein Äußeres reduziert? Das passiert sowieso. Dass man mich anfasst, wenn ich es nicht möchte? Das passiert sowieso. Dass man mir Dinge nachruft, pfeift und mich auf dem Nachhauseweg verfolgt? Das passiert sowieso.
Und wenn man mich schon anguckt, dann will ich wenigstens bestimmen, was man sieht. Ich möchte mich zeigen, wie ich bin. Ich möchte mich wohl fühlen in meinem Körper, ich bin stolz darauf, wie ich aussehe und ich sehe gern schöne Fotos von mir und irgendwie stehe ich zwischen Bildungsauftrag und Selbstbewusstseins-Schüben. Denn ich will mir selbst zeigen, ich bin gut, so wie ich bin. Und ich will anderen zeigen, ihr seid gut, so wie ihr seid. Und ich will zeigen, dass es schöne Körper gibt, die keine Modelmaße haben. Ich will, dass man mich sieht und denkt »So siehst du aus, ich sehe anders aus, beides ist gut.« Und ich zeige mich so oft in jeglicher Kleidung und öffentlich im Bikini und mit kurzer Hose und bauchfreien Oberteilen und dieses Foto nun zeigt schon, dass ich obenrum nichts trage, doch es zeigt von dieser Nacktheit eben wirklich rein gar nichts. Und ich lache dabei. Ich lache und ich fühle mich wohl. Dieses Bild ist nicht sexy, nicht verrucht, es ist nicht auffordernd und unterwürfig. Dieses Bild bin einfach ich und ich habe Spaß.
Ich möchte bestimmen über mich und meinen Körper und ich denke, das ist nicht zu viel verlangt, oder? Ich kann euch leider nicht sagen, dass ihr weggucken sollt, dass ihr aufhören sollt, denn mein »Nein« wird so oft überhört, offensichtliche Zeichen der Ablehnung nicht registriert und jede Zurückweisung als Herausforderung angesehen, mich doch noch zu überreden. Und meistens klappt das auch, weil Widerstand so anstrengend ist. Doch ich werde immer stärker und einen Teil meiner Stärke ziehe ich aus Bildern wie diesen und ich hoffe, ich kann dadurch auch Stärke verteilen.
Denn es ist allgemein nicht in Ordnung, zu sex-ualisieren. Menschen sind Menschen und keine Objekte, Sexualobjekte erst recht nicht. Egal, welche Kleidung man trägt, irgendjemand stellt sich vor, wie man sie auszieht, wie man darunter aussieht. Doch das sollte niemanden daran hindern, zu tragen, was man mag und worin man sich wohlfühlt.
Ich bin kein Sexualobjekt. Auch nicht, wenn ich Haut zeige. Nacktheit ist nicht gleich Sex. Nacktheit ist nicht billig und Nacktheit muss nicht erotisch sein. Nacktheit ist fröhlich und lustig. Nacktheit ist echt und normal. Nacktheit ist nackt sein, nicht mehr und nicht weniger – und manchmal ist weniger mehr.
Sarah Lau