Weil gerade alles etwas unwirklich wirkt. Wie ein Drücken auf den Pausenknopf, ein Anhalten der Serie, wie ein Öffnen der Spülmaschine, weil ein Löffel vergessen wurde. Wie das Warten der Waschmaschine kurz vor dem Schleudergang, wie das Puffern des Internets, als wäre es noch nicht 2025.
Ein Tagebucheintrag von früher, Fotos mit meinem Bruder, Zahnlücken und Pausbäckchen. »One line a day«, doch ich habe nur eine Zeile geschrieben. Ich bin immer auf der Suche nach dem größten Gedanken, dem schönsten Sprachbild, der lustigsten Geschichte, die man den neuen Arbeitskollegen erzählen und ihnen alleine damit zeigen kann: Ich bin cooler als ich aussehe. »Schreib‘ doch über Bern«, sagst du. Doch ein Reisebericht allein genügt mir nicht. Nein, setzen Sie sich. Das hier wird eine ganze Power
Point Präsentation mit Tiefe, mit doppeltem Boden und Plottwist.
Habe ich schon einmal die Geschichte erzählt, wie wir uns kennengelernt haben? Meine Mutter verliebt in deine, Freundschaftsliebe auf den ersten Blick, Besuche über Kilometer hinweg, gemeinsam wachsen, leben und dann ganz plötzlich jede für sich Leben geben. Du und ich, wir haben uns in den Bäuchen unserer Mütter kennengelernt, haben ihren Stimmen gelauscht, sind gemeinsam aufgewachsen irgendwie Kilometer entfernt. Doch nie waren wir fremd, nie aus einem anderen Land. Dein Schweizerdeutsch klingt mehr nach Heimat als das, was die Menschen im Dorf von sich geben. Blutsschwestern, Matschkuchen-Bäckermeisterinnen, die Schwestern von viel zu großen Brüdern, die mit den langen Haaren, die immer Zöpfe tragen.
Nun habe ich meine Haare abgeschnitten und du trägst einen Mullet. Dein Freund spricht nur englisch, meiner spricht nun besser englisch als ich. Deine Wohnung, eine riesige WG, meine Souterrain. Wir sehen uns 1x in 5 Jahren. Und trotzdem sagst du mir, es fühlt sich an wie gestern. Du zeigst mir dein Hobby, ich habe für meines kaum noch Zeit. Wir kennen die wichtigsten Namen von früher, doch es kommen auch neue dazu. Manche fehlen plötzlich, das fällt auf. Wenn ein fremder Bart am Esstisch deiner Mutter sitzt.
Denn die Heimat verändert sich, das zeigt sich immer wieder. Das Dorf, die Stadt, der Bärenbrunnen, alles wird kleiner. Die Berge nicht so hoch, die Aare nicht so breit, die Treppen plötzlich anstrengender, die Knochen hörbarer, der Atem schwerer. »Wir sind bald 30«, sagst du mir und du hast recht.
Schon früher meinte ich, ich wandere aus in die Schweiz, wenn daheim alles blöd war. Die Schweiz kam mir vor wie ein großes Versprechen, die Menschen so schön.
Doch jetzt hat es eine Woche geregnet, die Busse sind genauso warm wie in Deutschland, die Menschen auch ähnlich gestresst. Als Kind schaut man nur durch Beine hindurch, wird vorgelassen oder über Köpfe gehoben. Schaut vorbei an Sorgenfalten, sieht Schoggi und Nussstängeli, Fastnachtsküchlein und Linzer Torte. Was will man mehr?
Doch deine Sorgen gleichen meinen, der Rechtsruck ist real. Alle in deiner WG sind meiner Meinung, doch wir sind eben nur 9 an der Zahl. Komm, zeig‘ mir lieber noch einmal deine Musik, wir singen zusammen, wie früher. Ziehen die Decke über den Kopf und du strickst für mich, dass ich warm nach Hause zurück kann.
Und ja, ich habe Angst. Angst beim Ski fahren, vor dem Fallen, dem Berg, doch vor allem vor den Menschen. Angst davor, neue Leute kennenzulernen und nicht die lustigste Geschichte erzählen zu können. Angst davor, dass Menschen plötzlich fehlen, dass Gesprächsthemen ausbleiben. Angst, dass mein Körper plötzlich fremden Entscheidungen unterliegt.
Kürzlich gab es eine Studie, ob Frauen lieber nachts alleine mit einem Bären oder einem Mann im Wald wären. Sie wählten den Bären.
Ich habe Angst vor dem Bären und dem Mann. »Not all men.« Natürlich sind nicht alle Männer schlecht, doch die Schlechten haben es eben nicht auf der Stirn stehen und zu oft tarnen sie sich als die Guten. Bin zu oft darauf reingefallen, hab‘ zu viel gehört, da wird man vorsichtig. Die Welt ist verrückt. Letztens wurde jemand von einem Wal verschluckt und wieder ausgespuckt. Das ist verrückt.
Du bist Schweizerin und du fährst nicht gern‘ Ski. Das ist verrückt. Du konntest Ski fahren noch bevor du laufen lerntest, der Berg war dein Wochenendprogramm, jede Schulfahrt eine Skifreizeit, jedes Weihnachtsgeschenk Ski-Zubehör. Und jetzt hast du Angst vor dem Berg, er ist dir zu gefährlich. Du verstehst mich ganz anders und ich stimme dir zu. Wir beide zusammen sind herrlich.
Zurück geht’s nach Deutschland, da regnet es auch. Doch da wartet so vieles auf mich. Ein neuer Job, ein bisschen Angst, doch dazu ein vertrautes Gesicht. Daneben noch eines und eins noch am Hörer, ein 5. und 6. ganz sicher bald wieder da. Und es ist doch auch schön, wenn wir mal vermissen, dann wissen wir endlich, was wirklich zählt.
Ein »Ich liebe dich« und ein »Alles wird gut« heilen meist sogar Narben von früher. Ein Lächeln, eine Hand und ein Arm um die Schulter, ein Schubser nach vorne tut manchmal sehr gut. Wenn man klein ist, sieht die Welt viel zu groß aus, zu mächtig und viel, viel zu schnell. Mit Abstand, mit Blick aus der Zukunft, dann wird alles rückblickend ganz klein. Und immer wieder denke ich zurück und merke, dass all unsere Kindheitshelden Recht behalten dürfen. »Alles wird gut, solange du wild bist«, komm, nimm dir einen Waschmaschinen-Schleudergang dafür Zeit.
Sarah Lau
handmade with by netfellows
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