Draußen sieht aus wie ein Adventskalender

Türchen 1, Türchen 2, Türchen 3. Komm, lass uns Türen öffnen und sehen, was sich dahinter verbirgt.
Ein Umzug, 50 Kartons und 2000 Euro. Ein neuer Schrank, der alles verstaut, eine neue Lampe und Altes, das neu zur Geltung kommt. Neue Ausblicke, neuer Weitblick, neue Ruhe und neue Ordnung.
Wir haben uns resettet, haben uns gesettelt, sind angekommen und einen Schritt weitergekommen. Dieses Büro bietet Platz für Zukunft, die vielleicht in 4 Jahren auf uns wartet. Hier kann man erst einmal bleiben, hier ist man angekommen, hier ist zuhause und Mama ist stolz.

Setzen Sie sich auf unseren Balkon. Von hier aus kann man das Stadthaus sehen, den Schandfleck der Stadt, in dem aber nur glückliche Menschen arbeiten. Dort hinten qualmen die Schornsteine der Müllverbrennung, nebenan bellt ein Hund und ein Nachbar raucht allabendlich Gras. Setzen Sie sich, genießen sie den Ausblick. Sehen Sie, wie morgens die Sonne hier aufgeht und dort untergeht? Momentan wird es um 17 Uhr dunkel, dann gehen die Lichter an in der Nachbarschaft und jedes Fenster im Hinterhof sieht aus wie ein Türchen vom Adventskalender
Türchen 1, Türchen 2, Türchen 3. Komm, lass uns Türen öffnen und sehen, was sich dahinter verbirgt. Das Pärchen, das heute wieder streiten muss, streiten kann und sich versteht, das Probleme aus dem Weg räumt, Rucksack für Rucksack Ballast wegschafft. Der alte Mann, der allein lebt. Die junge Mutter, das Ehepaar aus einem anderen Land, der Griesgram, die Karen.
Jede Tür ist eine Schublade, jedes Leben eine Schablone und wir sind mittendrin.

Schau, wie die Tropfen vom Regen ans Fenster prasseln, wie die Heizungen arbeiten, wie es warm wird im Zimmer, wie die Kerzen flackern und die Feuermelder blinken. Schau, haben wir es nicht gut? Wie wir abends Harry Potter schauen, jeder eingewickelt in seine Decke, wie wir nachts Pfannkuchen machen gegen schlechte Laune und morgens den ersten Kaffee im Bett trinken.
In der Backsteinwand des Bauernhofs sieht man falsche Steine verstreut. »Das ist, wo Granatensplitter und Schüsse die Wand zerstört haben«, erklärt uns der Mann, der hier lebt, der hier arbeitet, der den Bauernhof in seine Werkstatt umgebaut hat und sich heute darum kümmert, dass Menschen schöne Möbel haben. Ja, hier war Krieg. In der Altstadt, in der ich wohne, ist nur jedes zweite Haus schön. Hier war Krieg, die Altbauten wurden zerstört, die Neubauten notdürftig dorthin gesetzt, wo Platz zum Leben geschaffen werden musste. Hier war Krieg und man sieht es noch heute. Man spürt es noch immer, in Menschen, in Straßen, in Gesprächen am Nachbartisch.

Was sie sich zu Weihnachten wünscht, habe ich damals meine erste Mitbewohnerin gefragt. »Eine teure Uhr von meinem Freund und von meiner Oma und meiner Mutter ein neues Portemonnaie, eine neue Handtasche und Geld natürlich.« Andere antworteten mit »Weltfrieden«, aber das wird nur still weggelächelt. Eine Uhr schenkt sich leichter.
Frieden in sich selbst ist ein guter Anfang. Keine Rückenschmerzen und etwas Gesundes am Tag. Sich der Stirnfalten bewusst sein und tagsüber immer wieder das Gesicht entspannen. Die Sitzposition ändern, Raum einnehmen, laut und deutlich sprechen.

»Wenn wir das Puzzle heute nicht schaffen, kannst du ja einfach morgen wieder kommen« von meiner Nichte hören und meinen Neffen lachen sehen. Deine Neffen gehen jetzt zur Schule und freuen sich immer so, dich zu sehen. Dein Bruder spricht über Sorgen und Ängste und ich darf weinen. Jedes Gefühl, das existiert, darf sein und muss gefühlt werden, egal ob wir einander verstehen, wir akzeptieren. Und meine Tante braucht Zeit und das ist okay. Ein Trauerjahr reicht manchmal nicht, manchmal reicht ein Tag, manchmal hat die Arbeit schon vorher begonnen, manchmal kommt sie unerwartet. Ich möchte keine Trauerblumen, lieber etwas in rosa für die neue Wohnung. Es ist doch schön, ein Neuanfang, die Trauer kann auch ohne schwarz und weiß existieren. Aber vor allem möchte ich lachen im Moment. Und arbeiten und genießen.
Ein bisschen Traurigkeit geht mit schönen Erinnerungen einher, ein bisschen Wehmut mit verloren geglaubten Geschichten, ein bisschen Sorge um die Zukunft.
Aber schau einmal aus dem Fenster, hier sieht man den Himmel, wir sind im 4. Stock. Schau in die fremden Fenster, überall brennt Licht. Hier flackert ein Fernseher, hier brennt eine Kerze, hier schreibt jemand auf dem Handy seinen Liebsten eine Nachricht. Und jetzt kommt uns ein alter Freund von dir besuchen. 2 Jahre kein Kontakt, doch jetzt kommt er vorbei.
Ist das nicht schön?
Wie es immer weiter geht?
Schön ist das.
Ein Türchen nach dem anderen geht ein Jahr um. Mal sehen, was hinter der nächsten Tür steckt.
Mal sehen.

Sarah Lau