Ich will keinen Text über Corona schreiben. Ich will es nicht.
»Das kommt sicher nicht zu uns« war meine erste Einstellung. »Keine Angst, Mama« war auch Mut für mich selbst. »Ups« war die erste Erkenntnis, die schnell zu einem »Ohje« führte und schließlich zum Schweigen, dass auf die Motivation von Bekannten, Familie und Freund*innen traf: »Schreib‘ doch da mal einen Text drüber!«
Ich will nicht.
Ich hab‘ es versucht. Hab‘ über Ängste und Sorgen geschrieben, über Isolation. Hab‘ geschrieben über Zirkus im Kopf, schleichende Katzen, Albtraumgedanken und Blumenfelder voller Kakteen. Hab‘ ein Video dazu gedreht und ein bisschen Geld dafür bekommen, doch war es das wert? Ich hab‘ online Projekte gemacht, hab‘ online telefoniert. Ich hab‘ online zusammen mit anderen geschrieben und hab‘ online die Uni besucht. Ich hab‘ online Veranstaltungen moderiert und bin online aufgetreten. Hab‘ in Kameralinsen geschaut und online Spieleabende gemacht. Ich habe Bildschirme geteilt und alleine Wein getrunken. Habe online Partys mitgemacht und mit mir selbst getanzt, hab‘ gekocht und war spazieren, nur gepuzzelt hab‘ ich nicht. Ich habe nicht einmal ein neues Hobby angefangen, die alten nicht herausgekramt. Ich habe weitergemacht wie bisher, nur das »bisher« war anders. Ich habe meine Mutter nicht umarmt und Masken selbst genäht. Bin weder Bus noch Bahn gefahren, hab‘ viele Serien geschaut. Hab‘ Spaziergangdates hinter mir, habe draußen mit Bier gefroren, weil kein Drinnen geöffnet war. Habe Reste verwertet und weitergemacht.
Ich hab‘ jetzt einen guten Schreibtischstuhl, ergonomisch rückenfreundlich, aber immer noch kein gutes Internet. Ich habe neue Kochskills und trotzdem nichts im Kühlschrank. Habe neue Texte und kaum Möglichkeiten zum Auftreten. Habe Freundschaften gestärkt und soziale Umgangsformen verlernt. Ich hab‘ jetzt zwei Jahre Pandemie erlebt und immer noch keine Lust darüber zu schreiben.
Ich will lieber schreiben über Sommerabende mit kühlem Bier. Über Spaziergänge mit dir, die stundenlang gehen wie wir. Über lachende Mädchen und starke Frauen, über Sandkastenfreunde und Hüpfburgen bauen. Über Vater-Mutter-Kind und über Bruder Jakob. Ich will schreiben über alles, was da schiefgelaufen ist und trotzdem irgendwie richtig und gut war. Ich will streiten mit mir selbst in meinen eigenen Texten. Will mich von Gegenteilen überzeugen und bezeugen, dass ich schuld bin, dass ich es war, die nachts um drei noch einmal vor die Tür musste, weil sie nicht schlafen kann, weil Bildschirmlichter Augen stören, doch es tut mir nicht leid. Nein, ich will mich nicht entschuldigen für alle meine Texte. Ich will das nicht erklären, ich will einfach gerne schreiben und dass du ein wenig lächelst, wenn ich vorlese. Ich will schreiben über Katzen und über Kratzspuren auf Sofa und Teppich und Rücken. Will Kaffee wertschätzen an langen Schreibtischtagen und den Wein am Abend mit dir. Ich will was erleben und davon erzählen können, doch nach Tagen wie diesen bin ich eher still.
»Sarah, dieser Corona-Quatsch ist doch wirklich gefundenes Fressen für euch Künstler*innen!« – Nein, wir sind gefundenes Fressen für das Virus. Sind ausgemergelt, bis auf die Knochen abgekaut und stehen trotzdem immer wieder auf. Wir sind gefundenes Fressen fürs Beiseiteschieben und später darum kümmern. Wir sind gefundenes Fressen, doch alle sind satt und bleiben zuhause. Wir brauchen ein Mikrofon, doch der Strom ist aus. Wir brauchen eine Bühne, doch das Publikum ist leer. Brauchen Applaus als täglich Brot, doch der Bäcker hat verschlafen. Ich habe Hunger, mich dürstet nach Bühnenerfahrung. Ich bin leer, brauche Input und fremde Gedanken. Alles grau ohne Menschen, die farblich verschieden sind und irgendwie klart es nur manchmal leicht auf.
Dann kommt Hoffnung und Glück, dann kommt unbeschwertes Lachen. Dann kommen Menschen zusammen und Texte zustande. Dann reden wir über Familie und Kino, über damals und heute, über alles nur nicht über –. Darüber sprechen wir nicht und fast fühlt sich alles normal an. Alles gut, ganz ehrlich und nicht zu naiv. Denn ich war schon immer gut im Schminken, im Überschminken von Pickeln, von Makeln, von müden Augen. Kann lächeln, wenn ich wütend bin, kann lachen, wenn ich weinen will und dir ehrlich sagen, dass ich dich versteh‘, auch wenn du gerade Spanisch sprichst.
Aus dem Negativen zieht sich positive Energie. Jeder Liebeskummer bringt mindestens zwei neue Texte hervor. Jeder Mensch in meinem Leben, der jetzt nicht mehr existiert, existiert in einem Text. Ausgeklammert, eingeklammert, eingerahmt und weggepackt. Auf Bühnen totgelesen. Sogar der Tod wird vorgelesen, über Krankheiten geschrieben. Streit ist auch in Texten viel besser zu ertragen und die schrägen Nachbarn, die lauten, gegen die kann ich nichts sagen aber schreiben kann ich gut. Ich schreibe meine Wut auf ein Papier und lese vor, was mich pikiert. Lass meinen Gedanken freien Lauf und lauf im Kopf immer fort. Ich tauche ein in andere Welten und kann dadurch besser sehen, was in Wirklichkeit passiert. Kann mich einfühlen, verstehen, andere Perspektiven sehen. Ich kann Gefühle vermischen, mich selbst übertreiben, kann Eiszeiten wärmen und aus allem Negativen etwas Positives schreiben.
Und jetzt, nach zwei negativen PCR Tests, will ich es hinter mir haben und doch auch nicht. Will selbst mal positiv sein und dann wieder nicht. Will einmal Quarantäne haben, einmal genesen sein und will es doch nicht. Ich will Klarheit, eine Pause, will, dass all die Verschwörungsgedanken der anderen wahr sind. Wie gut, wäre das alles inszeniert und doch nur ein Spaß. Wie gut, wenn das alles doch nur ganz harmlos wär‘. Wie gut, wären all die Toten, all das Leid in Wahrheit nur erfunden. Doch das ist es nicht. Und es ist immer noch da und ich bin es leid und müde und habe wirklich keine Lust, darüber zu schreiben.
Gestern ist etwas Schönes passiert. Gestern schien die Sonne. Gestern bin ich spazieren gegangen von Terminen zu Terminen und hab‘ mich gefreut. Gestern gab es gute Projekte und neue Ideen, Entscheidungen, die mich gerade verändern. Gestern ist etwas Schönes passiert. Gestern gab es ein »Ja« und »Schön, dich kennen zu lernen«, »Auf Wiedersehen«. Gestern gab es gute Gespräche und Ehrlichkeit. Gestern gab es Sport und lange Duschen und Wärmflaschen im Bett.
Ich will nicht darüber schreiben. Lass‘ mich schreiben über dich. Du bist schön so wie du lächelst, wie du in meine Ohren sprichst, es tut gut dich zu hören, dein Lachen zu sehen, das Wolken verdeckt und den Lärm übertönt.
Es ist still. Es ist schön. Und alles wird gut.
Sarah Lau
handmade with by netfellows
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