Schwarz-weiß

»Zwischen Dafür und Dagegen gibt es auch immer ein naja« steht an der Wand auf einer Fliese, darunter ein Strichmännchen gemalt mit hochgezogenen Schultern und einem schwachen Lächeln. »Pff«, denke ich, dabei finde ich das schön. Doch ich bin immer schwarz oder weiß, bin gut oder böse, bin dafür oder dagegen. Meistens dagegen. Vielleicht ist es illegal oder ich trete jemandem damit auf die Füße. Ich habe Angst, bin vorsichtig, übervorsichtig und gehe auf Nummer sicher. Denke erst nach, bevor ich etwas sage. Ich rede selten so vor mich hin. Bin still, beobachte und erst, wenn ich mir ganz sicher bin, was genau ich sagen will und wie, erst dann melde ich mich zu Wort oder per Hand heben über Zoom und laufe trotzdem rot an vor Sorge. Ich bin mindestens vier Stunden vor Abflug am Flughafen und immer zu früh, wenn ich einen Termin habe. Immer zu spät, wenn es um dich geht. Ich bin sicher, du nimmst mir das nicht übel.

»Was du nicht willst, was man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu.«

Ich hasse, wenn jemand anders zu spät kommt. Ich bin ungeduldig und kann Ungeduld nicht ab. Ich bin genervt, wenn jemand anders genervt ist und unterbreche jeden, der dazwischen quatscht. Ich werde nicht gern direkt durchschaut und durchschaue doch, wer sich mir in den Weg stellt. Du denkst du kennst mich. Ich freue mich darauf, mich selbst kennen zu lernen, weiter zu wachsen und Neues zu erfahren über mich und darüber, wie ich die Welt sehe. Schwarz-weiß.

»I’m just crying for attention« singe ich laut mit und weine, wenn ich etwas falsch gemacht habe, aber will, dass du dich entschuldigst. Wie im Dezember, als wir uns in meinen Träumen gestritten haben und du am nächsten Morgen mit Blumen und Eis entschuldigend vor der Tür standest. Der Streit war wirklich schlimm im Traum, viel schlimmer noch als unsere echten Streitereien. In echt bist du viel umsichtiger, viel emotionaler und machst es mir viel leichter, mich zu entschuldigen. Im Traum warst du ein Wirrwarr aus ehemaligen Männern in meinem Leben, undurchsichtig und wütend.

»Leben ist relativ dumm« summt Fatoni in mein Ohr und ich nicke im Takt. Leben ist dumm, ich auch irgendwie, aber es macht trotzdem Spaß und schön ist es auch und du liebst mich sowieso. »Familie ist Übungsfeld«, hat meine Mutter immer gesagt. Streit ist okay, vertragen ist schön und Liebe bleibt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das außerhalb von der Familie auch erleben kann, dass ich andere Menschen als meine Familie erlebe und ich Familie für andere bin. Du und ich. Wir erziehen uns noch immer, jeder sich selbst und wir lernen voneinander. Du bist meine Mathehausaufgabe und ich dein Deutschaufsatz. Ein bisschen Schummeln ist erlaubt und durchs Abschreiben lernt man ja auch dazu, hat Mama immer gesagt.

Heute sehe ich eingeschränkt. Mein Blickfeld nur halb durchsichtig, ich hab‘ den Durchblick nicht, ich glaub‘, ich brauch‘ eine neue Brille oder Schlaf. Einfach mal die Augen ausruhen, entspannen. Einfach mal keine Aufgaben haben, keinen Bildschirm. Handy, Tablet, Laptop. »Ich hab‘ einen neuen Fernseher«, sag‘ ich dir, »QLED!« Und du sagst »cool«, weil du nicht weißt, was das heißt. »Der hat ein echtes Weiß und ein echtes Schwarz und eine Soundbar hab‘ ich auch für echt guten Sound.« – »Aha«, sagt meine Mama und ob das denn wirklich notwendig sei. Ob denn dieser ganze Konsum wirklich wichtig ist und ob mir das hier wirklich was bedeutet. Ich trage viel Schmuck. Trage an zehn Fingern sieben Ringe. Sieben Ringe, sieben Erinnerungen, sieben Menschen und Gefühle, zwei für eins, sechs. Ich bin behangen voll Glück und Silber und Gold und wenn man mich so sieht, dann ist alles gut. Wenn man das alles sieht, sieht man anderes nicht. Wenn ich Ohrringe vergesse, dann fällt das nicht auf. Neben Piercing und Piercing und Piercing und Helix und Tragus und Piercing und immer noch kein Tattoo. Mama ist stolz. Mama sagt »schön«, wenn ich irgendwo neue Glitzerkugeln im Ohr trage. Mama sagt »okay« und dann ist es auch okay.

Wo war ich noch gleich?

Auf dieser Straße hier um die Ecke ist ein Rewe und zwei Kreuzungen weiter die letzte Tankstelle vor der letzten Tankstelle vor der Autobahnauffahrt. Ich hasse Autofahren bei Regen und Wind, doch als Beifahrerin bin ich erste Sahne. Ich hab‘ die beste Musik und lasse zwei Stunden zu Minuten schrumpfen. »Die Welt geht noch nicht unter«, singt der Mann und er hat Recht. Noch sind wir hier. Noch ist alles gut und noch ist auch kein Ende in Sicht und vielleicht findet sich zwischen schwarz und weiß etwas Farbe. Zwischen Ja und Nein ein Vielleicht. Und zwischen all den Terminen auch mal wieder Zeit für mich.

»Zwischen Dafür und Dagegen gibt es auch immer ein Naja.« Zwischen hängenden Schultern und ausgestreckten Armen auch immer ein Zucken. Zwischen dir und mir immer etwas Liebe und zwischen jetzt und gleich immer etwas Zeit, das Ganze nicht zu ernst zu nehmen.

Sarah Lau