Sorry not sorry

»Ups«, denke ich mir und »sorry«, sage ich. Du sagst, es sei ok. Aber du sagst das nur, weil du gelernt hast, dass das die Antwort auf eine Entschuldigung ist.
»Es tut mir leid« – »alles gut.« Aber das ist es nicht. Das war es nicht und deswegen war die Entschuldigung überhaupt erst angebracht und notwendig und nun ist es vielleicht okay aber man kann sich für eine Entschuldigung in erster Linie bedanken. Danke, dass du mich siehst, deinen Fehler siehst, einsiehst, dass es Zeit ist, Zeit sich zu entschuldigen, auch wenn man das gar nicht kann. Man kann entschuldigt werden, aber von sich selbst nicht die Schuld nehmen.
Sorry fürs Mansplaining. Als Frau ist das wirklich unangebracht.
Und sorry Paderborn, sorry fürs Vergessen, auf Wiedersehen zu sagen. Sorry für spärliche Berichterstattung, sorry, dass es nicht besser werden wird, sorry not sorry. Weil eigentlich ist es so schön.
Setzen sie sich, legen sie die Füße hoch, während ich Entschuldigungen vortrage, mich selbst um Verzeihung bitte, sorry sage, ohne es zu meinen. Denn Tara hat gesagt, dass das unnötig ist und dumm. Dass vor allem Frauen sich immer und immer wieder entschuldigen.
»Sorry, aber…« schon jetzt eine Buchempfehlung noch bevor ich es gelesen habe.
Ich lese nicht mehr, ich schreibe nicht mal mehr. Ich sitze am MacBook, schreibe Mails, schneide Filme, lerne Short cuts, sehe Bilder und Texte, höre Menschen schwafeln, Wiederholung, Zurückspulen, feiner Schnitt, Musik unterlegen, Recherche und Recherche und Recherche und Recherche.
Entschuldige, dass ich nicht mehr lesen kann, sage ich meinem Gehirn. Entschuldige, dass alles was mein Hirn leise macht, Trash TV ist, sage ich meinem Freund, der bei jeder Streitszene den Raum verlassen muss. Entschuldige, dass ich mich umsetzen muss, weil der Mann neben mir zu viel Raum einnimmt, weil Berührung echt nicht mein Ding ist, weil das etwas ist, was ich mit meiner Therapeutin besprechen muss, weil es die in meinem Leben noch gar nicht gibt. Entschuldigung dafür, sage ich dem Kind in mir, das wütend in der Ecke sitzt. Roter Kopf, zwei geflochtene Zöpfe, ein Kissen fest im Arm.
Bauchschmerzen. Entschuldige, dass ich Bauchschmerzen habe, Hormone, die mich einen Zyklus durchleben lassen, den ich selbst nicht verstehe. Lust auf Sex, Lust auf Sport, fit, Marathonläuferin, Lust auf gar nichts, Krampf im Bein, Kopfschmerz, lustlos, Wiederholung.
Entschuldige, dass ich zu spät bin, weil alle Bahnhöfe gesperrt sind, alle Gleise umgebaut werden, die S-Bahn zu voll war. Entschuldige, dass ich zu spät bin, obwohl ich für eine 20 min Strecke anderthalb Stunden vorher aus dem Haus gegangen bin. Entschuldige, dass ich dir nicht mehr zuhören kann, wenn du dich über die Bahn aufregst. Ich kann mir selbst nichtmal mehr zuhören.
Entschuldige, dass ich mehr Gehalt haben will. Entschuldige, dass ich mich nicht erklären konnte, keine Worte hatte. Nein, dafür entschuldige ich mich nicht. Ich habe abgeschlossen, zumindest halte ich die Tür fest zu und singe gegen das Klopfen an. Herzklopfen. Den Schlüssel kann ich von hier nicht erreichen, man müsste ihn mir anreichen oder jemand hält kurz fest, die Klinke nach oben gedrückt. Sonst halte ich noch etwas durch, mir gehen nur die guten Lieder langsam aus.
Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ‘ne kleine Wanze. Schau dir mal die Wanze an, wie die Wanze tanzen kann.
Es gibt so viele Lieder, die ich gerne singen würde. So viele Menschen, die ich gerne sehen würde. So viele Worte, die ich gerne sagen würde. Aber in erster Linie »sorry«.
Vielleicht schreibe ich irgendwann mal wieder ein Buch, sage ich. Ich möchte gerne Gedichte schreiben, möchte das lernen, mich herausfordern.
Vielleicht mache ich Urlaub, wenn der Stress nach dem Stress nach der stressigen Phase kurz vor dem anderen Stress pausiert.
Vielleicht fahre ich mal wieder nach Düsseldorf, nach Darmstadt, nach Mainz/Wiesbaden/ich vergesse immer wie der Ort heißt, vielleicht sogar mal wieder in die Schweiz.
Vielleicht gehen du und ich mal wieder auf ein Date, Datenight in der Woche, vielleicht am Mittwoch, Bergfest.
Und vielleicht gehen wir joggen. Ein Satz, den ich früher nie gewagt hätte, auszusprechen. Doch ganz Bonn geht joggen und ich bin jetzt Bonnerin, also mache ich das auch. Langsam und kurz aber immerhin am Rhein entlang. Der Rhein ist so schön, Paderborn, so schön wie die Pader, den musst du mal sehen. Und die Altbauten hier, die Kneipenszene ähnlich verschlafen wie deine, die Menschen sind lieb, zurückhaltend wie deine. Hier gibt es Museen direkt um die Ecke, hier gibts was zu sehen, ich will dir das zeigen – meine neue Heimat, will dir davon schreiben.
Setzen Sie sich, vielleicht wird es Zeit sich zu duzen. Auf jeden Fall wird es Zeit, mal wieder zu schreiben, das Gehirn auszuschütten, zu schreiben für mich, für dich.
Und jetzt schreibe ich wenigstens mal wieder hier. Ein kleiner Lichtblick, ein kurzes Hallo, schön, dich zu sehen, du musst dich nicht entschuldigen, nicht sorry sagen, für was?
Ich hoffe, ihr habt mich vermisst oder wenigstens das hier ein bisschen. Als Kaffeepause zwischendurch, als Klolektüre, als kleinen Fernblick, der doch viel näher ist. Als Einblick, als Durchblick sicher nicht. Als mich. Aber »alles gut«, wenn nicht. Ich jedenfalls, ich hab das vermisst.
Und ich entschuldige mich … bei mir selbst.
Und wieder nicht.
Sarah Lau