Statusbericht Digitales Wohlbefinden

Mein Handy sagt, ich nutze mein Handy zu viel. Meine Mutter sagt das auch. Mein Partner hat sich daran gewöhnt. Ich schaue abends YouTube-Videos zum Einschlafen, ich höre Podcasts beim Zugfahren und Putzen, in der Pause scrolle ich durch instagram und BeReal fordert mich täglich dazu auf, mich zu zeigen wie ich bin. Ich hoffe dann immer, dass ich gerade an schönen Orten bin, dass ich gerade etwas Cooles und Aufregendes erlebe, dass ich Teile meiner neuen Wohnung zeigen kann oder was ich Leckeres gekocht habe. Doch dann meldet sich BeReal um Mitternacht, ich sitze müde, ungeschminkt und schokoladeessend auf dem Sofa und schaue eine Teenieserie, um nicht über den Ernst des Lebens nachdenken und lesen zu müssen. So real wollte ich nun wirklich nie sein. Digital habe ich mich selten unwohler gefühlt und doch lerne ich, dass es mir egal ist.

Setzen Sie sich, wir schauen zusammen auf mein Handy. Me time ist Handyzeit und ich nehme Sie mit. Durch instagram und YouTube, wir schauen Reels und Das große Backen und obwohl Sie neben mir sitzen, schicke ich Ihnen die besten Videos auch über ein, zwei Fingerklicks zu, vielleicht wollen Sie später ja noch einmal alleine lachen. Vielleicht auch nicht.

»Sarah schaut wieder Tiervideos oder Videos in denen Kinder auf die Nase fallen«, sagt meine Mutter zu ihrem Mann am Telefon. Eine kleine Pause für mich, ein kleiner Einblick für sie in das, was ich so tue, wenn ich eigentlich alleine bin, wenn ich pur ich bin, wenn ich mal nichts sein muss. Sie lacht vielleicht doch auch ein bisschen, als ich das Handy rüberreiche. Wir tauschen Telefone. »Hallo« an ihren Mann, der insgesamt schon der Inbegriff des Wortes »Papa« ist, und »Tschüss, bis bald«.

Ich mach‘ mir die Welt wiedewiedewie sie mir gefällt. Ich hab‘ eine Wohnung, eine Altbauwohnung und du hast ein Zimmer darin, ein altes Dienstmädchenzimmer. Eine Rosshaarmatratze schmückt das kleine Bett, ein Spiegel, ein Schrank, die Wände aus Blümchenstoff, ein kleiner Hocker dazu und sogar ein Fenster. Geputzt, gelüftet, meins und deins, meins für dich. Und du fragst, ob das WLAN bis nach hier oben reicht.

»Jetzt im Moment bin ich genau das, was ich nie werden wollte. Mein Partner arbeitet ganztags und ich habe zuhause außer Putzen und Kochen und Einkaufen wenig zu tun und stehe in erster Linie im Austausch mit mir selbst«, sage ich dir. »Stell‘ dich nicht so an«, sagst du mir.

Doch ich stell‘ mich an. Ich stell‘ mich hinten an und gehe fühlbar einen Schritt zurück, ich bin in Warteposition auf alles, was da noch so kommen mag, ich gehe noch einen Schritt mehr zurück und schaue aus dieser Distanz auf mich herab, zu mir hinauf?

Ich stehe da und eigentlich stehe ich echt gut. Da ist plötzlich viel mehr Platz in meinem Kopf, viel mehr Luft zum Atmen, viel mehr Sonne auf meinem Scheitel und weniger Termine im Kalender, weniger Sorgen im Gepäck. Von oben, von unten, mit Abstand betrachtet geht es mir gut. Und eigentlich bin ich ganz im Gegenteil genau da, wo ich schon immer sein wollte. Eigentlich habe ich genau das gemeistert, wofür ich Jahre lang gearbeitet habe. Eigentlich habe ich es geschafft und stehe an einem sehr privilegierten Beginn von etwas Neuem, das sich jetzt schon gut anfühlt.

»Ich lebe das neue Leben«, schreibe ich auf instagram, »liebe die neue Heimat und gewöhne mich langsam ans Nichtstun solange ich dabei noch genug erledige«. Digitales Wohlbefinden spiegelt selten wider, wie es einem wirklich geht. Ich höre Musik beim Duschen und hab‘ endlich wieder regelmäßig Zeit für meinen Lieblingspodcast, ich spiele Sudoku und schaue die neuesten Nachrichten über die neuesten Missstände, die schon lange nicht mehr unbekannt sind. Und schließlich ist mein Handy auch Kontakt nach Paderborn, Kontakt in die Vergangenheit, Teile davon kommen mit in meine Zukunft, ein Buch, dass ihr mit mir lesen dürft.

Das alte Kapitel schließt sich so langsam und mit ihm fällt einiges ab von mir. Das neue Kapitel wartet auf meine Unterschrift unter dem ersten Zeitvertrag. Und jetzt wohne ich also nicht mehr in Paderborn und bin tagsüber Hausfrau doch auch das mit Bravour. 1:0 für mich und 1000 Tonnen Glück. Zwischendurchidentität für einen halben Monat, das schaffe ich wohl. Was ich nicht mag, muss ich nicht hassen, was ich nicht werden will, kann ich trotzdem sein. Und in erster Linie gewinne ich an Respekt vor allen Hausfrauen und -männern, vor der Arbeit, die da ganz heimlich und still geleistet wird, vor jedem frisch gewischten Boden und jeder Staubfluse in der Ecke. Ich liebe Spinnen noch lange nicht, doch wir arbeiten weiter daran. Und was hilft ist das kleine Bettchen in der Dienstmädchenkammer und dein Auto, dass dich in zweieinhalb Stunden zu mir bringen kann.

»Ich bin so stolz auf dich«, sagst du am Telefon zu mir.

»Ja, ich bin auch so stolz auf mich«, antworte ich, stelle dich auf Lautsprecher, nehme dich mit zum Rhein, zum Markt, zum Erdbeerkauf. Digitales Wohlbefinden at its finest.

 

Sarah Lau