Unverpackt

Frauen sind keine Süßigkeit und Geld regiert die Welt.

Geld regiert die Welt und Schwule sind nicht haram.

Homosexualität ist Liebe und die WM ist ganz ehrlich scheiße.

Das kann nicht gewollt sein, nicht wünschenswert, das kann nicht wahr sein.

Ich muss mich setzen, setzen Sie sich zu mir. Vielleicht harren wir aus, vielleicht kleben wir unsere Hände auf die Straße, vielleicht an Kunstwerke, vielleicht können wir auch einfach nicht mehr weiter laufen wie bisher.

Krieg in der Ukraine, WM in Katar, Frauenmorde im Iran.

Müdigkeit, Masterarbeit und Respekt vor allem was danach kommt.

Meine Probleme kommen mir so klein vor, so unbedeutend und peinlich. Mein Leben, mein Alltag, wozu?

Während andere Menschen für Grundrechte und Leben kämpfen, kämpfe ich mich morgens aus dem Bett und an den Schreibtisch. Während andere Menschen den Feind schlagen, schlage ich in die Tasten und ärgere mich, wenn die Tastatur nicht schnell genug meinen Gedanken folgt. Während andere Menschen nicht schlafen können, sich vermissen und auf das Schlimmste einstellen, denke ich, die Weihnachtsdeko könnte schonmal aufgebaut werden und warte auf 17 Uhr, bis ich die Heizung anmachen und mich aufs Sofa setzen kann.

Während andere Menschen sterben, lebe ich.

Während meine Mutter jeden Tag mindestens zwei Stunden durch Nachrichtenseiten scrollt und sich die Welt erklären lässt, sich jede Narbe des Lebens, jeden Eiterpickel der Menschlichkeit unter der Lupe zeigen lässt, kann ich jeden Song auf TikTok mitsingen.

»One thing about me« – ich folge jetzt Joko und Klaas bei instagram, weil zwei iranische Frauenrechtskämpferinnen ihre Kanäle nutzen und Reichweite das einzige ist, was gerade hilft, wurde mir gesagt. Damit mehr Menschen sehen, was passiert, was zu Unrecht geschieht, wie mit Menschenrechten umgegangen wird und mit Menschen, die anderer Meinung sind. Das ist schlimm. Das ist furchtbar. Das ist nicht in Ordnung und ich bin ohnmächtig, habe keine Macht, keine Möglichkeit, außer ihnen die Möglichkeit zu geben, mit mir zu kommunizieren, mich zu erreichen, mich und alle anderen, aber was dann?

Dann passiert das und alle schauen hin. Alle sind live dabei und alle verstehen, dass das nicht passieren sollte und es passiert trotzdem.

Denn Geld regiert die Welt und jeder ist sich selbst der nächste. Das generische Maskulin lässt sich hier weiterhin gut anwenden, denn alles andere ist intersektional, alles andere passt aufeinander auf, alles andere sollte da sein und bleiben und Hände halten.

Dieses Weihnachten gibt es keine Geschenke, hat Mama gesagt und ich finde das gut. Ich brauche nichts, ich brauche Zeit, Zeit mit meinen Liebsten, brauche Liebe und Zusammenhalt und ein gutes Gefühl im Bauch. Ein gutes Gefühl während ich meinen Weg gehe und einen Rückhalt, wenn ich ihn brauche,. Die Sicherheit, dass ich nicht alleine bin und alles schaffen kann. Die Geduld, die mir entgegengebracht wird, mit all meinen Komplikationen und das uneingeschränkte Vertrauen, dass meine Entscheidungen die richtigen sind. Ohren, die mich hören, Herzen, die mich verstehen, Hände, die mich halten, Schultern, die mich tragen. Rechte, tun zu dürfen, was ich will. Tragen zu dürfen, was ich will. Kopfhörer, die laut genug sind, das Hupen und die Rufe der Männer zu übertönen. Ein Gehirn, das schlau genug ist, die Meinung alter weißer Männer zu überhören. Einen Mund, der stark genug ist, dagegen zu sprechen, Mut, sich einzusetzen, sich zu wehren und Kaffee, damit ich nicht müde werde, immer wieder dasselbe zu sagen.

Denn es hilft, zuzusehen. Es hilft, zuzuhören. Es hilft, nein zu sagen. Es hilft, zu reden. Es hilft, zu streiten, zu streiken, zu diskutieren. Wut hilft und Trauer auch. Menschen helfen.

Und es hilft nicht, zu akzeptieren, wie es ist, wenn es schlecht ist und stinkt.

»I could have my Gucci on. I could have my Louis Vuitton. But even with nothing on, bet I made you look.«

Ja sure glotzt du mich an. Ja sicherlich sind für dich unverpackte Frauen weniger rein. Und auf jeden Fall ist das binäre System eines, das dich im Leben sehr weit gebracht hat. Für mich ist das halt Bullshit. Die Gesellschaft verändert sich und Veränderungen sind gut. Die Gesellschaft hört zu und zuhören ist gut. Die Gesellschaft ist offen und tolerant aber Geld regiert die Welt und »Fußball ist einfach so krass geil, da können wir den Rest ja mal kurz übersehen, ein Auge zudrücken« oder lieber direkt zwei. Wenn uns unsere Privilegien zu wichtig sind, um sie für andere zu gefährden, ja wo kommen wir denn dahin?

Die WM in Katar. Die Frauenmorde im Iran. Der Krieg in der Ukraine.

Und wir mittendrin.

 

Sarah Lau