»Wiedersehen macht Freude«, das hat meine Mutter früher schon immer gesagt. Vor allem, wenn man etwas ausleiht und zurückbringen soll. Doch Wiedersehen macht tatsächlich Freude. Immer, egal ob es ein Gegenstand ist oder ein geliebter Mensch, ein normaler Mensch, den man über fremde Köpfe hinweg entdeckt, eine Bekanntschaft, ein alter Freund des Bruders, der irgendwie damals auch Bruder war und heute einfach ein bekanntes Gesicht.
Setzen Sie sich, lassen Sie uns sehen, wo die Reise hingeht. Lassen Sie uns wiedersehen, lassen Sie uns freuen darüber und gerne einander ins Gesicht schauen, lächeln vielleicht sogar, ein Gespräch ist da nicht notwendig.
»Ich war auf dem Osterlauf«, erzähle ich sehr stolz. Der Osterlauf in Paderborn hat Tradition. Normalerweise sitze oder stehe ich am Rand in der Sonne, feuere die Läufer*innen an und trinke ein Bier oder zwei. Doch ich war immer dabei! Diesmal aber nicht am Rand, sondern mittendrin. Das Anlaufen bis zur Startlinie, das Warten auf den Startschuss, das Schwitzen, das Laufen, die Aufgeregtheit, die in Zaum gehalten werden muss um durchzuhalten. Man will sprinten, doch dann reicht die Puste nicht bis zum Schluss, die Zurückhaltung. Das Einlaufen ins Ziel, die Getränke und der Stolz danach. »Wie weit bist du denn gelaufen?«, fragst du. Und ich muss zugeben, dass es nur der Bambini Lauf war, den ich gemeinsam mit den Neffen bestreiten durfte. Hand in Hand, 2 ganze Kilometer lang. Doch aufregend war es trotzdem, geschwitzt habe ich trotzdem (es war strahlender Sonnenschein und der Neffe hat meine Hand niemals loslassen wollen), stolz war ich umso mehr.
Und Wiedersehen macht Freude: die Familie, Paderborn, die Maskottchen, die Trommelgruppe und die Tänzerinnen und so viele bekannte Gesichter in der Masse, so viele Freundschaften von früher, die jetzt nicht mal mehr Bekanntschaften sind. Meine beste Freundin aus dem Kindergarten, die Clique meines Bruders aus der Schule, der Junge, dem ich Nachhilfe in Mathe gegeben habe, obwohl ich es selbst nie verstanden habe. Plötzlich alle erwachsen, plötzlich ganz andere Welten. Und mein Freund trifft seinen Trainer von früher, der denkt, seine Neffen wären unsere Kinder. Jetzt bin ich in dem Alter, in dem das tatsächlich der Fall sein könnte und doch freue ich mich, dass es noch nicht so ist. Ich schiebe das Thema seit 5 Jahren elegant 5 Jahre weiter in die Zukunft. Das ist früh genug.
Doch ganz anders bei M. Da wird jetzt geheiratet, da sind wir plötzlich auf der Suche nach einem Braut-Outfit, das nicht zu sehr aufgetragen ist aber trotzdem klarmacht, wer die Braut ist. Da bin ich plötzlich in Gedanken an einen Junggesellenabschied und sie will jetzt ein Kind. Ganz anders, ganz wunderbar trotzdem und dieses Wiedersehen hat Freude gemacht, auch wenn Rhein in Flammen ein R(h)einfall war und die Schwäne uns leidtaten. Wiedersehen macht Freude und ist so schön normal.
Ein bekannter Geruch, ein Füße hochlegen, ein Gefühl von zuhause.
»Das ist aus Uboot-Stahl, das taucht wieder auf«, so sagt dein Kollege immer und ich finde das sehr lustig. So lustig, dass ich es mir in mein Handy notiere und unbedingt in der nächsten Kolumne verwenden will und das wiederum freut dich. Auch wenn du manches nicht verstehst, was ich hier schreibe, immer findest du es gut und Kunst soll man ja auch nicht verstehen, nur fühlen. Du fühlst dich gut an und ich fühle mich gut bei dir.
Manchmal fehlt nur die Zeit. Die Zeit für all das, was ich will.
Ich will mehr Zeit mit M, mit J und mit N. Ich will Zeit allein und mehr Zeit fürs Reisen. Ich brauche mehr Zeit an einem Tag und mehr Zeit zum Durchatmen zwischen To Dos. Ich brauche mehr dich und mehr uns und dann aber auch meine Mutter. Alleine, mit Mann oder mit der ganzen Familie, nur den einen Teil der Familie, den anderen dann separat. Ich brauche Festivals und Musik, brauche dann ganz dringend meine Ruhe und eigentlich will ich mal wieder ein Buch lesen aber wann?
»Wiedersehen macht Freude«, denke ich mir, aber manches bleibt abgeschlossen. Da habe ich Angst vor einem Wiedersehen, wenn nicht alles schon in mir geheilt ist. Habe Angst vor einem Wiedersehen, dass dir Unwohlsein bereitet. Habe Angst vor einem Wiedersehen und alles ist plötzlich ganz anders, ganz fremd. Das ist noch nie passiert aber vielleicht passiert es bald. Habe Angst vor keinen Worten und Angst, was falsch zu sagen. Manche Deckel kann ich noch nicht schließen, manche drücke ich mit aller Kraft zu und manche lasse ich passieren, keine Kraft aktiv zu sein.
Ein neuer alter Job, Honey im Home. Alte Gesichter in neuen Kontext, ich bin erst 2 Jahre dabei und kenne fast die ganze Branche. Jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der dann wieder da ist. Ein einziger Ameisenhaufen, manchmal hat man einen Ellbogen im Gesicht, manchmal ein zuckendes Auge, doch es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man immer überlebt.
»Ich würde mich freuen, wenn du wieder zurückkommst.« Ein gutes Gefühl.
Ein Urlaub mit den Eltern, Jahre nach dem Erwachsen werden. Mama und ihren Mann »Eltern« nennen, weil es einfacher ist und per Definition stimmt. Ein gemeinsamer Urlaub in getrennten Wohnungen, etwas Privatsphäre muss bleiben, beim Abendessen über Sex diskutieren und alles ist ok. Ein Treffen in Aachen, wir haben Sekt mitgebracht, du zahlst den Kaffee. Ein Geben und Nehmen, kleiner Finger, ganze Hand, in beide Richtungen ok. Kein Gerede über Geld, kein Streiten, wer zahlt. Denn Wiedersehen macht Freude und so gibt es sich am besten aus. Geteilte Freude ist doppelte, das Wiedersehen zahlt sich aus, bin eine von vier und war nie glücklicher. Habe Schwestern, die ich selten sehe, doch jedes Wiedersehen ist ein »unter einer Decke stecken«, in Erinnerungen schwelgen. Logisch, dass ich nicht wieder fahren will, dass jeder Abschied eine Träne wert und nur ertragbar ist, weil ein Wiedersehen in Sicht und nicht in weiter Ferne ist.
Wiedersehen macht Freude, so oder so. Jeden Morgen wieder sehen, wofür man all die Arbeit macht, einen Vollzeitjob und zwei weitere nebenher, aber es macht Freude. Wiedersehen, Wiederhören, Wiederlesen. Ein kurzes »Hallo, wo bist du, wie geht’s
dir, was ist los?« Eine kurze Nachricht beim Warten auf die Bahn. Ein kleines »Hallo«, obwohl du sowieso immer bei mir bist. Ein »Ich vermisse dich«, weil mich ein Bild an dich erinnert. Ein »Ich hab was gesehen und es passt gar nicht zu uns, aber ich musste es dir zeigen« und die gleichen Gedanken danach. Über Kilometer hinweg, über Jahre hinweg, immer noch dieselbe gleiche Narbe, dasselbe Lachen.
Und ich lebe eigentlich so viele Leben, stecke überall mit drin. Ich zittere für dich, wenn dein neuer Job ab Juli startet, ich plane für dich, was du bei deiner Hochzeit nicht vergessen darfst, ich ärgere mich mit, wenn dein Chef wieder mal ein Arschloch ist und ich versuche zu lieben, wen du ab jetzt liebst.
Ich habe mir ein Netz gebaut, aus alten Weben meiner Mutter, aus meiner Kindheit dünne Fäden, vom ersten Job ein paar verstaubte, aus der Uni einen starken, nach dem Umzug viele verzweigte. Hab in der Mitte einen Kern, der tausend Städte umfasst und voller Liebe prall gefüllt ist und verwebe mich ganz langsam, sachte mit dem Netz an meiner Seite, mit dem seinen. Profitiere von der Liebe, die dort schon längst vorhanden ist, von den Freundschaften, der Ehrlichkeit, der Leichtigkeit, dem Angenommen werden. Und Wiedersehen macht Freude, strickt weiter, stärkt und baut. Manche Fäden lass ich fallen, wenn sie sich nicht weiterstricken lassen, doch sie hängen noch fest, ganz weg sind sie nie. Vielleicht kehr ich zurück, vielleicht bind‘ ich sie nochmal fest. Mal sehen, was kommt.
Sarah Lau
handmade with by netfellows
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